Eine Beschreibung des Erwachens- und Befreiungsprozesses

Es gibt sicherlich nicht nur einen Weg, der zum Erwachen und zur Befreiung führt und auch nicht nur der eine, der richtig wäre. Wenn ich hier von einem Prozess oder Weg spreche, ist das wie folgendermassen gemeint:
In Wirklichkeit gibt es nur diesen Augenblick, der so IST, wie er ist. Dem kann nichts hinzugefügt werden. Wir sind schon das Sein, nachdem wir uns sehnen, auch ihm kann nichts hinzugefügt werden. ES ist bereits vollkommen in jedem Menschen.
Es reicht allerdings nicht aus, wenn man das nur "weiß", dass man das Sein ist, es aber noch nicht erlebt und realisiert hat, d. h. wenn es einen noch nicht zutiefst durchdrungen hat und man es noch nicht im Alltag dauerhaft erlebt. Denn sonst bleibt es ein mentales Konzept, das genauso vom Verstand benutzt wird wie jedes andere, um nicht in die Bewusstheit zu kommen. Aus diesem Grund ist es sogar not-wendig, dass man sich auf einen Erwachens- und Befreiungsprozess einlässt. Er ist ein lebendiger und sich ständig veränderter Vorgang, in dem die klare Ausrichtung und Entscheidung immer wieder neu getroffen werden muss. Es können verschiedene Vorgehensweisen und vielleicht auch Übungen angewandt werden, die immer nur für den Moment hilfreich sind und dann vielleicht wieder verworfen werden. Man ist am Erforschen, Hinterfragen und genauer Hinschauen und versucht immer mehr, nur zu beobachten. Mit der Zeit kann die Wahrnehmung verfeinert werden und vielleicht entstehen hin und wieder Lücken, wo man aus dem wacheren Bewusstsein schauen kann, bis sich dieser Zustand immer mehr etabliert und man das natürliche Da-Sein in Frieden erlebt.
Der Prozess gleicht einer Reise, die vom Ich zurück zum Sein führt. Als Säugling war man noch eins mit allem, aber man war sich dessen nicht bewusst. Dann entstand allmählich ein eigenständiges Ich, das sich immer mehr abgetrennt hat aus der Einheit. Der Glaube und das Anhaften an diese falsche Identität macht einen krank, lässt einen träumen und leiden. Nun hat jeder Mensch die Gelegenheit, durch BewusstSein nach Hause zurück zu kehren in die Einheit.

Was ist das persönliche Ich?
Um es in kurzen Worten zusammenzufassen: Es ist der Verstand mit seinen Ideen, Vorstellungen und Überzeugungen,  an die er glaubt und die er festhält. Durch die Trennung aus der Einheit hat er sich als eigenständiges Wesen identifiziert und dazu sagt der Mensch dann "Ich". Hinzu kommen die  Emotionen, Gefühle und Reaktionen, die im Körper wirken und entsprechend  ausagiert werden. Nun ist das Ich eine vollständige Person, die glaubt, dass sie aus freiem Willen handelt, aber nicht mitkriegt, dass sie einfach nur gesteuert wird von Mustern, Emotionen und Konditionierungen. Sie wirken zum Teil sehr stark energetisch und laufen automatisch, d. h. reflexartig ab, so dass man von ihnen vollkommen beherrscht wird. Gefühle und Emotionen verstärken die Gedanken, lassen sie lebendiger, wichtiger und echter erscheinen. Denn nun werden die Gedanken nicht nur gedacht, sondern auch gefühlt und als Reflex und Glaubensmuster ausagiert. Hier spielt die Interaktion des Gehirns mit den Nerven, den Hormonen und neurochemischen Ausschüttungen, was der Mensch  als Gefühl erlebt, eine sehr zentrale Rolle.
Das natürliche Dasein, das einfach ist, wird zugeschüttet mit Ängsten, Widerständen und Kämpfen. Gefühle werden unterdrückt und vermieden. Der physische Körper verkrampft sich immer mehr und wird irgendwann krank. Denn alle Meinungen, Konditionierungen und Muster setzen sich in den Zellen, in den Genen und im Nervensystem fest. Es ist dem Mensch nicht mehr möglich, frei und auf natürliche Weise zu sehen und zu erleben, sondern er schaut durch seine Muster (wie durch eine verschmutzte Brille) und lässt diese re-agieren. Er fühlt sich von den anderen manipuliert und falsch verstanden, kann aber nicht sehen, dass das alles in seiner Einbildung und in seiner eigenen Welt abläuft. Er sieht nicht, dass die anderen nur seine Meinungen und Muster widerspiegeln oder ihn einfach nur triggern, damit er seine Wut oder seinen Schmerz spüren kann. Hinzu kommen Schattenanteile, die ihm peinlich sind, die er ablehnt und zum Teil gar nicht kennt, so dass sie ihr ganz eigenes Spiel spielen.

Es braucht also schon sehr viel Klarheit und Entschlossenheit, sich aus dem Leid und vor allem aus der Gewohnheit befreien zu wollen. Denn die gewohnten Denkabläufe mit den entsprechenden Gefühlscocktails geben einem scheinbar so viel, dass man sie nur ungern loslassen möchte und kaum loslassen kann. Die Dramen und Szenarien werden meistens mit der echten Lebendigkeit verwechselt, weil sie gefüllt sind mit vertrauten Emotionen, Leid und Geschichten.
Damit sich solche automatischen Abläufe irgendwann auch verändern können, braucht es die Bereitschaft, das alles sehen und wahrnehmen zu wollen.
Man fängt also an, alle diese Abläufe und Gefühle, die auftauchen, nur zu sehen und zu beobachten, ohne sie zu deuten oder zu bewerten. Wenn man das öfters macht, wird es irgendwann auch möglich sein, gelegentlich aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Das heißt aber nicht, dass man sich davon trennt, weil man etwas ablehnt, nein, es geht lediglich darum, die Verklebung und Anhaftung an die Geschichte oder Idee zu lockern. Wenn man den Prozess in Schritte einteilen würde, wäre das der erste Schritt: Einfach nur sehen und beobachten, was in einem auftaucht: die Gedanken als Gedanken sehen, die Gefühle und Empfindungen als solche.
Da der Mensch gewöhnlich identifiziert ist mit seinen Gedanken und Gefühlen, glaubt er, dass das alles so ist, was er sieht und erlebt. Er ist eins damit und nimmt eine Art Schein-Identität an.
Man kann sich das so vorstellen, als würden sich viele unterschiedliche Schichten über den Menschen legen, die ihn dann entsprechend empfinden und erleben lassen. Er erlebt beispielsweise Wut und da er vollkommen in diese Emotion verwickelt ist, kann er sie nicht mehr aus Distanz betrachten. Er ist sich nicht  bewusst, dass er wütend ist und wenn er das mitkriegt, ist es schwer, nur die Energie von ihr zu spüren. Er IST  die Wut und glaubt, dass sie real ist. Er verteidigt sie und fühlt sich im Recht mit ihr. Der Mensch ist mit seinen Mustern oder den sogenannten "Ich-Schichten" verklebt und sie haften an ihm wie eine Haut. Deshalb braucht es diesen ersten Schritt der Betrachtung und der Beobachtung. Anfangs schaut er aus dem Verstand und der Verstand beobachtet seine eigenen Gedanken. Mit Hilfe einer Begleitung kann es möglich sein oder manchmal geschieht es auch von selbst, dass der Blick neutraler wird und weniger aus dem Verstand schaut als aus dem Bewusstsein.
Das Bewusstsein kommentiert nicht, weder urteilt es noch wertet es. Es ist leer, unpersönlich  und nichtwissend. Es ist ein stiller zeitloser raumloser Raum, in dem alles erscheint und wieder vergeht. Diese Schritte laufen nicht korrekt nacheinander ab, meistens verschwimmen sie ineinander. Wenn sich dann das Beobachten und Wahrnehmen immer mehr stabilisiert, wird sich der innere Blick unweigerlich auf sich selbst richten. Hier taucht das Relative und Scheinbare auf und kehrt in den Ozean des Einen zurück, ins Bewusstsein. Worte und Bedeutungen lösen sich  auf, weil BewusstSein als solches nicht beschrieben werden kann. ES ist lebendig und erfüllt einen zutiefst. Man ist sich ganz nah und intim.

Während ich damals meinen Befreiungsprozess erlebte und mich sehr allein damit fühlte, sah ich mich in einem dichten Wald, der voller Konzepte und Illusionen war und es gab keinen sichtbaren Weg vor mir. So schlug ich mich durch, Schritt für Schritt und Tag für Tag. Jeder Gedanke, jedes Gefühl und jedes Konzept, das auftauchte und geglaubt wurde, musste gesehen und gefühlt werden, bevor es sich als Illusion auflöste und wegfiel. Ich wußte nicht, ob ich je aus diesem wahnsinnigen Dickicht herauskommen würde und vor allem, wie ich da durchkommen soll. Drehe ich mich nur im Kreis und trete auf der Stelle? Ich war immer wieder verzweifelt und fiel oft zu Boden. Werde ich verrückt werden oder wirklich irgendwann frei sein? Ich wußte es nicht. Doch zwei Wörter tauchten immer wieder in mir auf: Geh weiter! und ich ging weiter. Ich konnte gar nicht anders.

Der Prozess führt einen von außen nach innen,  aus der Täuschung und Illusion in die Wirklichkeit, aus der Zeit ins Jetzt, aus der Gefangenheit in die Freiheit, aus dem Traum in die Wachheit und vom kleinen begrenzten Ich zum unendlichen Sein.

Das Loslösen aus der Identifikation und von den gewohnten Mustern und Schatten geht nicht immer problemlos und schmerzlos vonstatten. Warum? Weil man dazu neigt, an gewohnten Gedanken und Handlungen festzuhalten, selbst wenn sie einem Schmerzen  und Leid verursachen. Man kämpft dagegen an und ist im Widerstand. Wäre man total offen und bereit für die Loslösung, wäre es ein immer tiefer wirkender Genuss der Befreiung und Hingabe. So sehr man sich vom Leiden befreien möchte, so sehr hält man auch daran fest und verteidigt es. Man liebt meistens mehr das Drama und den Schmerz, als das lebendige und freie Da-Sein.
Das Sein oder das Leben bieten einem alle Möglichkeiten, die man braucht, damit man sich von den Mustern befreien kann. Je nachdem, welche Themen aktuell sind und mit welchen man identifiziert ist, wird man mit ihnen konfrontiert und getriggert. Sie werden einem im Außen durch Menschen und Gegebenheiten so lange gespiegelt oder sie drücken in einem die entsprechenden Knöpfe, damit man die Möglichkeit hat, wahrzunehmen und zu spüren, wenn beispielsweise Traurigkeit, Enttäuschung oder Hass in einem aufsteigen. Man müsste sich also nicht darüber ärgern, wenn der Arbeitskollege, die Eltern oder der/die Partner/in immer wieder in einem Wut oder Schmerz auslösen. Diese Trigger geschehen aus Liebe, damit man sich selbst und seine Gefühle wahrnehmen kann.
Es ist das größte Geschenk, was der Mensch sich selbst machen kann, wenn er sich den Raum gibt, um sich selbst wahrzunehmen und seinen Blick wegnimmt von draußen und der Geschichte - hin zu sich, nach innen. Die Gedanken und das viele Wissen einfach mal fallen lassen und nur Fühlen, Spüren und Wahrnehmen. Reines Beobachten und Bezeugen dessen, was jetzt ist.
Wenn das Beobachten und Sehen sich mehr gründet, kann es sich mit der Zeit auch ausbreiten auf alltägliche Situationen. Dann kann es sein, dass es auch möglich wird, im Alltag den inneren Blick bewusster wahrzunehmen und dasein zu lassen. Die Wahrnehmung kann sich allmählich aus der persönlichen Färbung in ein leeres freies Sehen entwickeln. Der innere Beobachter oder das Bewusstsein, das zuvor völlig unbewusst war, weil es durch die Identifikation und Betäubung nicht zugänglich war, kann allmählich wacher werden und sich ausdehnen in seinen natürlichen Zustand. Dann werden auch die Schatten, die zuvor abgelehnt und verurteilt wurden, nach und nach transformiert.  Es ist eine Art Versöhnung mit dem Leben, mit sich selbst, mit den Schatten und dem, was man zuvor verurteilt, verteufelt und ausgegrenzt hat. Vor allem wird gesehen, dass all diese Themen und Sorgen nie wirklich existent waren, nur in der eigenen Traumwelt. 
Es wird irgendwann eine Freude sein, alles, was bisher nicht sein durfte oder ein Schattendasein führte, nun willkommen zu heißen.
Je tiefer man in das JETZT, in das Wahrnehmen rutscht, um so nicht-wissender wird man. Alles, was vorher so real und echt erschien, löst sich im Nichts auf, als wäre es nie da gewesen.
Der Traum wird als Traum und bloße Erscheinung gesehen und die Wirklichkeit kommt immer mehr zum Vorschein.

Je nicht-wissender und leerer man ist,
um so erfüllter ist man.